Zeitenwende aus Sicht der Industrie bzw. des Bunds der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. (BDSV)

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine, der einen weiteren Bruch der seit 1990 errichteten europäischen Friedensordnung war, liegt nun schon mehr als neun Monate zurück. In dieser Zeit haben sich die ukrainischen Streitkräfte mit großer Tapferkeit der russischen Invasion erwehrt. Sie kämpfen damit auch für unsere freiheitliche Ordnung. Daher dürfen wir uns an diesen Zustand nicht einfach gewöhnen und wieder zur Tagesordnung übergehen. Es wäre fatal, wenn uns nur noch das abgesenkte Raumklima und die früher abgeschalteten Leuchtreklamen daran erinnern würden, dass sich in Europa Fundamentales verändert hat. Gegenüber der Zeit vor dem 24.02.2022 brauchen wir einen ungleich höheren Level von „Awareness“ für die Bedrohungen um uns herum. Dies gilt primär für die Regierungen, aber auch für uns als deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (kurz: SVI). Dazu die folgenden zehn Thesen:

Logo des Bundesverbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V.

These Nr. 1: Die dt. SVI kann äußerst flexibel reagieren, wenn sie gebraucht wird

Unmittelbar nach dem russischen Einmarsch und der „Zeitenwende“-Regierungserklärung des Bundeskanzlers wusste niemand, ob nicht alsbald ein NATO-Verteidigungsfall eintreten würde. Dementsprechend wurde die SVI vom BMVg „zur Fahne“ gerufen. Sie folgte diesem Aufruf mit einem ungeahnten Maß an Aktivität, Kreativität und Flexibilität. Innerhalb von wenigen Stunden und Tagen trafen beim BAAINBw die Angebote und Ideen zur Sofort-Befähigung der Bw ein. Es hätten innerhalb kurzer Zeit Aufträge für Ersatzteile, Munition und Ähnliches im Wert von ca. 10 Mrd. € ausgelöst werden können. Jedoch machte die damals geltende vorläufige Haushaltsführung dieser Soforthilfe einen Strich durch die Rechnung. Unsere Haushaltsführung ist für solche Herausforderungen einfach zu formalistisch.

These Nr. 2: Die dt. SVI liefert der Bw marktverfügbare Produkte, wenn sie darf

Im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Bw-Sondervermögens ist der Ruf nach einer schnellen Beschaffung von „marktverfügbaren“ Produkten laut geworden. Die dt. SVI verfügt über zahlreiche „marktverfügbare“ Produkte, oft solche, die bei anderen NATO-Streitkräften erfolgreich im Einsatz sind. In Deutschland genügen sie oftmals nicht den spezifisch deutschen Bw-Bauanforderungen. Diese haben sich im Laufe der Jahre in ungeahnte Luxus-Höhe hochgeschraubt und müssen nun systematisch abgebaut werden. Dies geht nicht per Order eines einzelnen Menschen, sondern durch entsprechende kollektive Prozesse, durch Orientierung an internationalen Standards etc.; ein Behörden-internes Forderungs-Controlling ist gut gemeint, wird dazu aber nicht ausreichen.

These Nr. 3: Die dt. SVI hat erhebliche Lösungs-Kreativität, wenn man sie lässt

Der bisher geltende Regel-Beschaffungsprozess nach CPM sieht vor, dass die Industrie das nachbaut, was der Auftraggeber vorgibt und spezifiziert. Bei Großvorhaben ist dies oft langwierig, gold-gerändert, damit teuer und zugleich risiko-affin. Viel besser wäre es, den anzufragenden Gegenstand funktional zu beschreiben und dann im Wettbewerb eine Reihe von industriellen Anbietern ihre jeweils besten Lösungsvorschläge anbieten zu lassen. Vergaberechtlich ist dies ohne Weiteres zulässig. Heute steht sich der öffentliche Auftraggeber bisweilen selbst im Weg, indem er als „Anforderungs-Owner“ meint, nur er könne die Randbedingungen für das wirtschaftlichste Angebot definieren. Dies entspricht nicht einer industriell üblichen Einkaufspraxis und bietet noch viel Raum für Beschleunigung und Verbilligung der Beschaffung.

These Nr. 4: Die dt. SVI braucht möglichst verlässliche Rahmenbedingungen

In Deutschland ist die SVI privatwirtschaftlich organisiert. Sie muss also mit ihrer Tätigkeit verlässlich Geld verdienen, um Arbeitnehmer, Aktionäre und Finanziers zufrieden stellen zu können. Dies setzt gerade im Regierungsgeschäft ein hohes Maß an Planbarkeit für wirtschaftliche Entscheidungen/Investitionen voraus. Auf der Amtsseite wird bisweilen unterstellt, die Industrie müsse von sich aus in F & T investieren bzw. müsse bei Projekten in bestimmte Vorleistungen gehen. Dies mag im Einzelfall auch so sein, setzt aber einen Business-Case voraus, der einigermaßen verlässlich in ein profitables Liefergeschäft einmündet. Dies gilt nicht zuletzt auch bei den europäischen Förderprogrammen, wie dem Europäischen Verteidigungsfonds.

These Nr. 5: Die dt. SVI ist kein Nachprüfungs-Junkie, wenn man sie nicht zwingt

Immer wieder kritisiert das BMVg, dass die dt. SVI zu sehr dazu neige, Vergabe-Entscheidungen in Nachprüfungsverfahren anzugreifen und damit zu verzögern. In der Tat mag es hier aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers das eine oder andere Ärgernis gegeben haben. In der Zeit angenommener Not haben die Unternehmen solchen Nachprüfungsanträge aber auch klaglos zurückgenommen. Augenmaß auf Seiten der Unternehmen ist auch in Zukunft geboten. Dennoch bleibt richtig: Obwohl das BwBeschaffungsbeschleunigungsgesetz zu einer Ausdünnung des Rechtsschutzes für Bieter ansetzt, muss doch aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ein Grundsatz gewahrt bleiben: Falls die Beschaffungsverwaltung ausnahmsweise fehlerhaft arbeitet, muss eine Überprüfung/ Korrektur dieses Fehlers möglich bleiben.

These Nr. 6: Die dt. SVI kooperiert gerne europäisch, wenn sie dabei nicht verliert

Für europäische Kooperation spricht eine nahezu zwingende Logik. Allerdings müssen zum Gelingen einige Grundsätze beachtet werden: Die beteiligten Kunden – Regierungen/Streitkräfte – müssen sich auf gemeinsame Anforderungen einigen, es muss eine klare Führungsstruktur festgelegt werden, die auch eine leistungsfähige industrielle Struktur einschließt. Hierzu bedarf es auf deutscher Seite einer zwischen BMVg und SVI abgestimmten Industriestrategie, an der es bisher fehlt. Kooperationsstrukturen, bei denen die dt. SVI Marktstellung und/oder Know-How bzw. IP-Rechte aufgeben müsste, kann von ihr nicht mitgetragen werden. Dies bedeutet, dass erfolgreiche europäische Rüstungskooperation unter deutscher Beteiligung nur aufgrund eines frühzeitigen Schulterschlusses zwischen BMVg und SVI funktioniert.

These Nr. 7: Die dt. SVI kann Schlüsseltechnologien nur mit dem BMVg erhalten

Schlüsseltechnologien im Bereich Sicherheit und Verteidigung sind seit den erstmals 2015/2016 von der Bundesregierung verabschiedeten „Strategiepapieren“ Ausdruck des politischen Willens, aus nationalen Souveränitätsgründen diese Technologien in Deutschland bewahren und fördern zu wollen. Dies erfordert auf Seiten der SVI, bestimmte Einschränkungen bei der Fungibilität entsprechender industrieller Ressourcen akzeptieren zu müssen. Im Gegenzug hat sich der Bund verpflichtet, diejenigen Unternehmen, die über derartige Schlüsseltechnologien verfügen zu fördern. Dies soll geschehen über national nach Art. 346 AEUV erfolgende Bw-Beschaffungen, über F&T-Förderungen und über Export-Förderung. Vor allem bei der Anwendung des Art. 346 fordert die dt. SVI mehr Konsequenz auf Seiten des BMVg.

These Nr. 8: Die dt. SVI muss im europäischen Maßstab wettbewerbsfähig sein

Das Ziel eines europäischen „Level-Playing-Field“ im Sinne allgemeiner Chancen-gleichheit ist auch für die europäische SVI oft als politischer Programmsatz proklamiert worden. Jedoch sind die Startpositionen extrem ungleich: In etlichen europäischen Ländern sind die Regierungen maßgeblich an der lokalen SVI beteiligt, können sie also ungehemmt alimentieren. In vielen Ländern fördern die Regierungen ihre SVI massiv durch nationale Vergaben gem. Art. 346 AEUV sowie durch eine damit einhergehende Exportförderung durch Regierungs-eigene Vertriebsförderung, die auch herrschende Compliance-Grundsätze durchbricht. Demgegenüber sieht die deutsche Bundesregierung die dt. SVI in ihrer privatwirtschaftlichen Konstitution als weithin eigen-gesteuerte Industrie, für die der Staat nur begrenzte Verantwortung trägt. Hier ist von der Bundesregierung mehr Einsatz für das „Level-Playing-Field“ gefordert.

These Nr. 9: Die dt. SVI respektiert geltende Grundsätze für Rüstungsexport

Wettbewerbsfähigkeit setzt in einem gewissen Umfang auch die Chance zum Export in Länder außerhalb von EU und NATO voraus, denn genau dies macht andere europäische Wettbewerber stark. Die dt. SVI respektiert von jeher Deutschlands restriktive Exportgrundsätze für Kriegswaffen inklusive der jeweils ergehenden Einzel-Entscheidungen des Bundessicherheitsrats. Demgegenüber hat die dt. SVI jedoch kein Verständnis, wenn sich die in ihren Exportentscheidungen souveräne Bundesregierung ohne Not in die „Zwangsjacke“ eines neuen Rüstungsexportkontroll-gesetzes begibt. Erst recht hat die SVI kein Verständnis für Instrumente wie die Verbandsklage, mit der die Bundesregierung ihre außen- und sicherheitspolitische Gestaltungsmacht, die Rüstungsexportentscheidungen innewohnt, auf NGO’s und Gerichte delegieren würde. Hiermit würde auf bestimmte Wählerschichten geschielt, aber dem Interesse der Bundesrepublik Deutschland geschadet.

These Nr. 10: Die dt. SVI rüstet NATO-Streitkräfte aus, fördert also Nachhaltigkeit

Wesentliche Bestimmung der dt. SVI ist es, Streitkräfte und staatliche Sicherheitsorgane im EU- und NATO-Raum auszurüsten, allen voran die Bundeswehr und deutsche Behörden und Organe der inneren Sicherheit. Diese brauchen unbestreitbar Rüstung und Waffen, um ihre anspruchsvollen Aufgaben zur Erhaltung von Sicherheit und Frieden in Mitteleuropa erfüllen zu können. Wie wir in der Ukraine sehen, ist die Erhaltung von Sicherheit und Frieden eine unabdingbare Voraussetzung für jede Art von Nachhaltigkeit. Also muss diese Logik endlich auch bei den EU-Instrumenten zur Erreichung der europäischen Klimaneutralität bis 2050 („Green Deal“) Einzug halten. Stattdessen grassiert aber vor allem im Finanz- und Versicherungssektor immer noch der Irrtum, Waffen seien per se als nicht nachhaltig einzustufen. Hier bedarf es seitens der EU eindeutiger Signale an den Finanzmarkt.

Zusammenfassung:

Aufgrund der sicherheitspolitischen „Zeitenwende“ des 24. Februar 2022 müssen BMVg, BAAINBw und die dt. SVI mehr denn je partnerschaftlich zusammenwirken, um die anstehenden Ausrüstungs-Herausforderungen der Bw schnell und reibungslos zu meistern. Die dt. SVI steht hierfür jederzeit bereit, auch unter Hintanstellung anderweitiger Interessen. Dafür aber bedarf es klarer Signale, vor allem aber auch Bestellungen seitens der Bw-Beschaffung. Je besser die Planbarkeit, desto besser das Ergebnis. Je enger die vorausschauende Zusammenarbeit, umso besser wird dies den Interessen beider Seiten gerecht.

Dr. Hans Christian Azpodien, Hauptgeschäftsführer Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, zu Zeitenwende aus Sicht der Industrie. Blauer Bund
Dr. Hans Christian Azpodien, Hauptgeschäftsführer Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, zu Zeitenwende aus Sicht der Industrie.

Autor: Dr. Hans C. Atzpodien, Hauptgeschäftsführer BDSV

Anm. Red.: Dieser Artikel steht im Zusammenhang mit dem Vortrag des Autors bei der Informationsveranstaltung des Blauer Bund e.V. im November 2022

Die Operative Leitlinie (OpLL) der FRA LaSK – Concept d’emploi des forces terrestres (CEFT) 2020-2035

Das FRA H befindet sich seit der Wahl Emmanuel Macrons (M.) zum frz. Staatspräsidenten im April 2017 in einem stetigen Modernisierungsprozess. Ministerin der Streitkräfte Florence Parly resümierte, M. habe dabei sehr stark unterstützt und „die Streitkräfte ins Zentrum der Nation gestellt“[1]. Ausgehend vom Anspruch FRA den Status einer „relevanten Macht“ („Puissance“) zu bewahren[2], jederzeit weltweit seine Interessen auch mit militärischen Mitteln durchsetzen zu können und dabei weitgehend unabhängig von den USA – unter Rückgriff auf Koalitionen der Willigen („nation cadré“ – dt.: Rahmennation) – in gaullistischer Tradition zu agieren, wurde unter M. die Finanzierung der Streitkräfte erheblich verbessert und die Modernisierung entschieden vorangetrieben.

Im Rahmen der Operation Serval hatte FRA noch im Jahr 2013 in beeindruckender Weise, jedoch unter Inkaufnahme hoher Risiken eine schnelle Anfangsoperation durchgeführt. Ziel war es, die von einer militärische Niederlage bedrohte malische Regierung zu stützen und das Land zu stabilisieren[3]. Gegnerische Kräfte waren vor allem die verschiedenen terroristischen Gruppierungen, wie sie auch heute noch (oder wieder) die Region dominieren.

Seither hat sich aus FRA Sicht die geopolitische Lage erheblich und damit die Anforderungen an die frz. LaSK verändert. Unter Staatspräsident M. läuft daher der Umbau des FRA H mit Nachdruck um neuen Bedrohungen gewachsen zu sein.

Verändertes sicherheitspolitisches Umfeld aus FRA Perspektive

Die Erfahrungen der Einsätze, in denen das FRA H weltweit ständig gebunden ist, spiegeln ein verändertes sicherheitspolitisches Umfeld, in dem die Gleichzeitigkeit von Bedrohungen verschiedener Natur (z.B. Terrorismus, Grenzkonflikte, Cyber-Angriffe, Propaganda) und eine stark angestiegene Geschwindigkeit, mit denen Krisen entstehen, einer Anpassung des bisherigen Konfliktmodells (Frieden – Krise – Krieg) hin zu einer Abfolge von Rivalität – Konkurrenz – Kampf bedurften.

Konfliktmodell FRA SK Blauer Bund
Konfliktmodell FRA SK

Sich grundsätzlich ständig in der Phase des Wettbewerbs von Staaten, Gesellschaftsmodellen und politischen Systemen befindend, wird die Konkurrenz mit friedlichen Mitteln in den Dimensionen Politik, Wirtschaft, Kultur und Militär, materiell sowie immateriell ausgetragen. In der Anfechtung wird ein Konkurrent zum de-facto Gegner, der danach trachtet ein strategisches Ziel zu erreichen, indem er Mittel verwendet, die noch akzeptiert und nicht unmittelbar als offener Konflikt wahrgenommen werden. Im Konflikt werden Streitigkeiten mit militärischen und anderen Mitteln offen ausgetragen, bis zum Konflikt hoher Intensität („engagement de haute intensité“).

Dabei betonte général d’armée Thierry Burkhard (56), FRA Generalstabschef – CEMA – (Chef d’État-major des Armées) im Herbst 2021, dass es dabei vor allem gelte den „Krieg vor dem Krieg“ zu gewinnen. D.h. mit den Fähigkeiten der Streitkräfte in allen Phasen in der Lage zu sein, einen entsprechenden Beitrag leisten zu können, um zu verhindern, dass es überhaupt zu einer bewaffneten Konfrontation komme. Diese bleibe die seltenere Form der Auseinandersetzung, auf die man sich aber als die schwerste Herausforderung vorbereiten müsse.[4]

Aus Sicht des général d’armée Pierre Schill (55), seit 14. Juli 2021 neuer Chef des FRA H – CEMAT – (Chef d’État-major de l’Armée de Terre), zeichnet sich nach diesem Verständnis die Dimension Land (le milieu aéroterrestre) durch eine hohe Fragmentierung, eine hohe Sättigung an materiellen und immateriellen Einflussfaktoren sowie eine hohe Komplexität, die durch Technologiesprünge noch verschärft wird, aus. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, müssen die Landstreitkräfte (LaSK) die moralische und mentale Resilienz steigern, die Digitalisierung beherrschen und die Integration autonomer Robotersysteme vorantreiben. Diese sollen die Einheiten der LaSK verstärken und ihre Leistungsfähigkeit multiplizieren. In diesem Zusammenhang sind die Programme SCORPION (neue digitalisierte und vernetzte geschützte Plattformen, seit 2020 in der Einführung), VULCAIN (Robotisierung) und das darüberhinausgehende langfristige Fähigkeitsprogramm TITAN 2040 zu sehen, welches SCORPION, MGCS (Main Ground Combat System) und andere Systeme zu einem Verbund zusammenführen soll.

Neben den konventionellen Streitkräften bildet die „force de frappe“, die Nuklearstreitkräfte FRAs (luft- und seegestützt), den Kern der Nationalen Verteidigung und Basis der Unabhängigkeit als eine von fünf (offiziell erklärten) Nuklearmächten. Dies ist bei der Bewertung der französischen konventionellen LaSK zu bedenken, da man sich immer auf die letzte Option des Einsatzes von Nuklearwaffen zum Schutze FRAs berufen kann.

Beitrag des FRA H zu den strategischen Aufgaben der SK

Der Französische Kampfpanzer Leclerc; Blauer Bund
Der Französische Kampfpanzer Leclerc; Foto FRA SK/ Armée de Terre

Im Weißbuch der Verteidigung (Livre blanc) 2008 wurden erstmals fünf strategische Funktionen definiert, die in den Aktualisierungen 2013 und der ergänzenden strategischen Vorausschau (Revue stratégique de défense et de sécurité nationale) 2017 Erwähnung finden („connaissance et anticipation, prévention, intervention, protection-résilience et dissuasion“, zu dt. Aufklärung und Vorausschau, Prävention, Intervention, Schutz-Resilienz und Abschreckung). Schill sieht „das große Fähigkeitsspektrum und (die) Gefechtserfahrung“ der frz. LaSK als „einzigartig in Europa“ und die LaSK damit in der Lage, auf jede Art von Krise zu reagieren und eine Palette von Handlungsmöglichkeiten anzubieten.

Der Beitrag zu den strategischen Funktionen wird u.a. durch permanenten Einsatz in Auslandsmissionen, Vorausstationierung in den Überseeterritorien und Partnernationen (forces prepositionnées), hartes Training und Ausbildung, Spezialkräfte, operative Partner (z.B. Koalitionen der Willigen) sowie den Brigaden (Brig) des FRA H erbracht.[5]

Diese Mittel und Kräfte sollen gleichsam als Sensoren zur Einschätzung des strategischen Umfeldes beitragen, den politischen Willen untermauern, einen Gegner frühzeitig zum Einlenken zwingen und, falls nötig, das Gefecht in einer größeren Auseinandersetzung führen.

Mit den einzigartigen Fähigkeiten von LaSK (lange Stehzeit im Einsatz, Fähigkeit zum Nehmen und Halten von Gelände, Glaubwürdigkeit und Umkehrbarkeit, skalierbarer Einsatz im Heimatland („l’Hexagone“) und im Einsatzland, Beitrag zu schnell verlegbarem Kräftedispositiv / nat. Krisenreaktionskräfte (System GUÉPARD), Teilnahme an Informationsoperationen, Bereitstellung von Kräftedispositiven mit vielen verschiedenen Fähigkeiten) leistet das FRA H damit einen entscheidenden Beitrag, müsse aber stets „Plug-In“-fähig sein, um mit anderen Kräften oder Fähigkeitsträgern zivil wie militärisch zusammen wirken zu können.

Das Zusammenwirken der unterschiedlichen Fähigkeiten des Heeres in seinen vielfältigen Rollen haben unmittelbarer Wirkungi n andere Dimensionen hinein, wie die Spezialkräfte des Heeres, Aufklärung, Kampfunterstützung (Flugabwehr/Luftverteidigung und Pioniertruppen), Koordination des Kampfes in der Tiefe, Logistik, Überwachen des rückwärtigen Raumes, End-to-End-Verbindungen der digitalen Kräfte, Teilnahme an Informationsoperationen sowie an amphibischen oder luftgestützten Operationen, müssen koordiniert und „de-conflicted“ werden um aus den Beiträgen der Multiplikatoren einen echten Mehrwert zu generieren.

Grundsätze beim Einsatzes von LaSK

Einsatz Tigre von Landungsschiff Blauer Bund
Einsatz Tigre von Landungsschiff, Foto: A. ROINÉ/ECPAD

Das FRA H stellt in seiner derzeitigen Struktur („Au contact“) mit einem Korpshauptquartier („corps de réaction rapide“; Rapid Reaction Corps / RRC-FR in Lille) als taktisches Hauptquartier unterhalb des Führungskommandos der Landstreitkräfte (commandement de forces terrestres – CFT, ebenfalls in Lille) den Nukleus der FRA LaSK. Das CEFT definiert innerhalb eines Kapitels Grundsätze für den Einsatz des Korps und das Zusammenwirken mit unterstellten Verbänden sowie Nachbarn. Gem. CEFT wird dem Korps eine frz. Division mit zwei Brigaden und ggf. mehrere Divisionen von Partnernationen unterstellt. In den Grundsätzen ist damit auch die Basis für die Rolle der LaSK als Rahmen für eine ad-hoc Koalition gelegt, so wie M. dies seit einiger Zeit regelmäßig postuliert (und dabei TF TAKUBA als Beispiel anführt). Aus Erfahrungen in Einsätzen, aber vor allem auch aus der Teilnahme der US-Übungsserie WARFIGHTER, werden Funktionen des Korps und der Führung der ihm unterstellten Truppenteile definiert.

So befasst sich der erste Abschnitt mit der Raumordnung. In einem Operationsumfeld, das durch große, z.T. voneinander getrennte Räume und Gleichzeitigkeit geprägt ist (Anlehnung an Multi-Domain-Warfare) komme es entscheidend auf die Raumordnung und eine angepasste Führungsorganisation an. Die Raumordnung wird in kurzen Beispielen für Boden- und Luftraumordnung sowie Aspekte des Cyberspace, dargestellt um ein Verständnis für die Herausforderung zu entwickeln.

Die Führungsorganisation solle in einer „Kaskade“ von Gefechtsständen disloziert die Führungsfähigkeit in jeder Lage sicherstellen. Die in den LaSK dabei vorherrschende vertikale Organisation wird als Widerspruch zur allg. vorherrschenden Matrixorganisation gesehen, deren Vorteil aber nicht nur in der schnellen und verzugslosen Weitergabe der Absicht der übergeordneten Führung liegt, sondern vor allem in der Elastizität und der Befähigung der Führer auf allen Ebenen unabhängig Entscheidungen zu treffen. Insbesondere im sog. „mode dégradé“ oder „alternatif“ (dt. etwa „Zustand eingeschränkter Führungsfähigkeit“) kommen demnach die Stärken einer dislozierten Führung und größerer Freiheitsgrade zum Tragen. Man sei also grundsätzlich zukunftsfest und müsse in der Führerausbildung noch mehr Wert auf eigenständiges Denken und Handeln legen.

In einem weiteren Abschnitt des Kapitels über das Korps werden Aufgaben von Division und Brigaden beschrieben. Im Rahmen der Operationsführung kann demnach eine Division unter dem Befehl eines Korps stehen oder selbst die Funktion eines Land Component Command (für kleinere Operationen) wahrnehmen und übernimmt in dieser Funktion die Synthese von operativem Plan und taktischer Befehlsgebung. Die Division ist die erste Führungsebene die zum autonomen Gefecht befähigt ist und verfügt dafür in einem groupment de soutien divisionnair (GSD; dt. Logistischer Unterstützungsverband Division) über alle notwendigen nationalen Unterstützungsleistungen sowie die der integrierten Verbündeten. Organisch als Divisionstruppen unterstellte Aufklärungs- und OpKom/Cyber-Komponenten runden das Fähigkeitsportfolio der Division ab.

Die der Division unterstellten Brigaden sind je nach ihrer Spezialisierung mit bestimmten Waffensystemen ausgestattet die sie für den konkreten Einsatz besonders befähigen. Trotz der Spezialisierung findet die streitkräftegemeinsame Auftragserfüllung auch auf der Brigadeebene vollständig Anwendung. Führung und Unterstützung sind auf dieser Ebene hochmobil und ggf. geschützt bzw. gehärtet geplant. Insbesondere für den Einsatz einer mechanisierten (schweren) Brigade ist davon auszugehen, dass sie aufgrund des Operationstempos, der Störfähigkeiten des Gegners und der Herausforderungen der Topographie ggf. nicht mehr unmittelbar durch die übergeordnete Ebene geführt werden können und somit autark und zu selbstständigem Handeln zu befähigen sind.

Zusammenfassung und Bewertung

Robotik im Programm VULCAIN Blauer Bund
Robotik im Programm VULCAIN; Bild: FRA SK,/1er régiment de tirailleurs

Das CEFT ist ein gut verständnliches Grundlagendokument zum Schaffen eines gemeinsamen Verständnisses des Einsatzes von LaSK für Führer aller Ebenen aus dem Heer und anderer Kommandobereiche sowie von Partnernationen. Es bildet gleichsam den Ausgangspunkt für weitere doktrinäre Dokumente, die sich derzeit in der Erarbeitung befinden. Das Dokument entspricht den spezifischen nationalen Anforderungen FRAs und knüpft zugleich an die NATO-Doktrinlandschaft an.

 Trotz Parallelen in der Analyse und dem Verständnis des sicherheitspolitischen Umfeldes ergeben sich aus FRA Sicht andere Anforderungen an LaSK, als beispielsweise für DEU oder POL. Der selbstgestellte Anspruch an die SK insgesamt weltweit in Konflikten aller Intensitätsstufen einsetzbar zu sein und dabei den Kampf gegen hochgerüstete Gegner, vor allem in der südlichen Peripherie Europas mit seinen weiten Räumen in Nord- und Zentralafrika und zum Schutz der eigenen Territorien in Übersee führen zu können, erfordert andere Fähigkeiten als die zentraleuropäischer SK, die in erster Linie eine Abschreckung RUS vorsehen.

In diesen unterschiedlichen Sichtweisen bestehen möglicherweise Sollbruchstellen für eine Zusammenarbeit (Was muss ein zukünftiges Hauptwaffensystem der LaSK können? Verlegbarkeit vs. Schutz vs. Wirkung), die frühzeitig mitgedacht werden müssen um nicht im Verlauf der kommenden Jahre ein Scheitern dieser, auch für die europäische Verteidigung wichtigen Projekte zu gefährden. Eine reine politische Kooperationsabsicht könnte langfristig nicht ausreichen um unterschiedliche Anforderungen zu überbrücken. Gleichzeitig bieten diese Unterschiede gerade für Ausbildung und Übung sowie gemeinsam geführte Einsätze potentiell Synergien, die das Fähigkeitsspektrum europäischer Verteidigung erweitern können.

Der Schlüssel zur Erfüllung des Anspruchs an die strategische Autonomie Frankreichs findet sich schlussendlich in der nuklearen Abschreckungsfähigkeit. Mittel und Methoden hybride Kriegsführung bedrohen die eigene nationale Sicherheit jedoch jederzeit, auch unterhalb der Schwelle eines Krieges, und erfordern ggf. den Einsatz der konventionellen Streitkräfte. In deren Lastenheft steht zwar die Landes- und Bündnisverteidigung, die jedoch mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Heimatschutz (Cyberabwehr, Weltraum, Objektschutz) und weltweit gegen Regionalmächte oder Terrorgruppen zum Einsatz kommen werden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, sich nicht nur doktrinär und strukturell, sondern auch mit entsprechender Ausrüstung darauf einzustellen. FRA LaSK müssen vor allem schnell verlegbar, durchsetzungsstark und im gesamten Fähigkeitsspektrum autark sein, um nach kurzer Entscheidung durch den Staatspräsidenten weltweit FRA Interessen und Überseeterritorien schützen zu können.

Für das Deutsche Heer bedeutet dies Anknüpfpunkte zu suchen, wo FRA LaSK die eigenen, zunehmend auf Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) zu konzentrierenden Fähigkeiten ergänzen können. Dies ist zum Beispiel bei Einsatzgrundsätzen, Ausstattung und Gliederung mittlerer Kräfte sowie dem Einsatz in unterschiedlichen Klimazonen und amphibischen Operationen der Fall. Wer LV/BV kann, kann auch Kampf gegen irreguläre Kräfte und Stabilisierung, jedoch sind die Mittel und Wege durchaus unterschiedlich. FRA LaSK bieten hier Erfahrung und Anknüpfpunkte, um das Fähigkeitsportfolio des DEU H zu ergänzen und auch zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit deutscher Außen- und Sicherheitspolitik gehören. Gleichzeitig kann das FRA H von den deutschen Erfahrungen beim Führen mit Auftrag und schweren Kräften profitieren.

Der Angriff RUS auf die UKR und dem seit einem dreiviertel Jahr andauernden Krieg hat die Führung der frz. LaSK grundsätzlich in ihren Überlegungen zum Kriegsbild und der OpLL (insb. quantitativer Aspekte / Bedarf an größerer materieller und personeller Durchhaltefähigkeit) bestätigt. Ggf. wird es in Zukunft jedoch leichte Anpassungen geben.

Hinweis für den Leser: aufgrund der sprachlichen und doktrinären Unterschiede werden ggf. frz. Begriffe den deutschen ggü. aus Authentitätsgründen bevorzugt.

[1] Ministère des Armées, Discours de Florence Parly, voeux aux armées, Balard, Paris, 21. Januar

2022

https://www.defense.gouv.fr/salle-de-presse/discours/discours-de-florence-parly/discours-de-florence-parly-ministre-des-armees-voeux-aux-armees-le-jeudi-21-janvier-2021-a-balard

[2] CEFT, Seite 5

[3] Shurkin, Michael; „France’s War in Mali – Lessons for an Expeditionary Army“, Santa Monica, CA, RAND Corporation 2014.

https://www.rand.org/pubs/research_reports/RR770.html

[4] Ministère des Armées, Vision Stratégique du CEMA 2021

https://www.defense.gouv.fr/content/download/628900/10435817/file/211022_EMACOM_VisionStrategiqueCEMA_FR_Vdef_HQ.pdf

[5] brigades différencées (dt. „spezialisierte Brigaden; z.B. brigades blindées de décisions (PzBrig / sKr), brigades medianes (MotInfBrig / mKr), brigades amphibie (amphBrig), brigades d’urgences parachutiste (LLBrig), brigade de montagne (GebJgBrig), brigade d’aérocombat (LuftMechBrig) und die bigade franco-allemande (D/F-Brig).

Text: Oberstleutnant i.G. Sascha Nötzel, stellvertretender Heeresattaché, MilAttStab Paris

Sicherheitspolitisches Forum – „Zeitenwende in der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – Auswirkungen auf die Bundeswehr“

Veranstaltungshinweis

 

Russland greift am 24. Februar 2022 unter Bruch des Völkerrechts die Ukraine an und droht dem Westen zugleich mit seinen Atomwaffen. In der Ukraine tobt seitdem ein brutaler Krieg. Putins Krieg gegen die Ukraine markiert eine Zeitenwende für die deutsche aber auch für die europäische Sicherheitspolitik. Die NATO steht zusammen, verstärkt den Schutz seiner Ostgrenze durch Verlegung weiterer Kräfte und unterstützt die Ukraine, u. a. auch durch Lieferung von Kriegswaffen. NATO und EU haben 2022 neue strategische Konzepte verabschiedet, die Bundesrepublik wird erstmals in ihrer Geschichte eine Nationale Sicherheitsstrategie erarbeiten.

Bundesregierung und Bundestag haben bereits beschlossen mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro die Bundeswehr besser auszurüsten mit dem Ziel, eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Streitkraft aufzubauen. Um glaubhaft Abschreckung und Verteidigung zu gewährleisten, sind umfangreiche Maßnahmen zur Erhöhung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr notwendig. Der Wandel von einer Einsatzarmee hin zu vorrangig auf die Bündnis- und Landesverteidigung ausgerichtete Streitkräfte ist eingeleitet. Ansteht eine breite gesellschaftliche Diskussion über die zukünftige Friedens- und Sicherheitspolitik und über die neue strategische Konzeption Deutschlands.

Wir wollen im Rahmen der Veranstaltung mit unseren Expertinnen und Experten, und mit ihnen diskutieren, welche Folgen die Zeitenwende für den Auftrag,
Ausrüstung und die Struktur der Streitkräfte hat, welche Herausforderungen kommen auf die Soldatinnen und Soldaten, die zivilen Mitarbeiter und die wehrtechnische Wirtschaft zu.

Sie sind herzlich eingeladen an der Debatte teilzunehmen.

Veranstaltungstag: Montag, 05.12.2022, 17:30 bis 20.00 Uhr

Veranstaltungsort: Bonn, Godesberger Allee 149

Weitere Informationen

Anmeldung

Quelle:Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro NRW

Veranstaltungshinweis: 7. GSP-Sicherheitsdialog „Von Kabul nach Kyiv – Zeitenwende deutscher Sicherheitspolitik“

Eine offene Bilanz — mit Blick zurück und nach vorn!

Die deutsche, europäische und transatlantische Sicherheitsvorsorge steht vor einer grundlegenden Neubewertung der Herausforderungen und Kernaufgaben. Maßgeblich für diese Erkenntnis sind vor allem zwei Ursachen: Zum einen das abrupte Ende des Afghanistaneinsatzes nach 20 Jahren Engagement am Hindukusch, und zum anderen der aktuelle Überfall Russlands auf seinen Nachbarn Ukraine. Aus beiden einschneidenden Ereignissen müssen dringend strategische Folgerungen für die Zukunft gezogen werden. Dies wollen wir in drei aufeinander aufbauenden Panels diskutieren.

Am 5. Mai 2022 findet ab 16 Uhr der 7. GSP-SicherheitsdialogVon Kabul nach Kyiv – Zeitenwende deutscher Sicherheitspolitik“ in Berlin statt.

Hiermit laden wir Sie herzlich zu unserer Veranstaltung mit hochkarätigen Experten ein. Wir freuen uns auf lebhafte Diskussionen mit Egon Ramms (Gen a.D., ehem. Oberbefehlshaber AJFC Brunssum), Winfried Nachtwei (MdB a.D.), Dr. Karl-Heinz Kamp (BMVg, ehem. Präs. BAKS), Dr. Rudolf G. Adam (ehem. Präs. BAKS), Dr. Margarete Klein (SWP, Forschungsgruppenleiterin), Dr. Hans-Peter Bartels (ehem. Wehrbeauftragter), Andreas L. Hoppe (GenMaj, BMVg Abt. Strategie und Einsatz) und Roderich Kiesewetter (MdB).

Seitens der GSP sind vertreten: Jürgen Höche (GenLt a.D., Präsident GSP), Kersten Lahl (GenLt a.D.), Reiner Schwalb (BrigGen a.D., ehem. Verteidigungsattaché Moskau), Jessica Nies (Sprecherin JGSP) und Stephan Klaus (Sprecher JGSP).

Anmeldung für die Präsenzveranstaltung: https://www.gsp-sipo.de/aktivitaeten/gsp-sicherheitsdialog/5-gsp-sicherheitsdialog-1-1-1

Sie können nicht in Berlin sein? Kein Problem! Unter folgendem Link können Sie die Veranstaltung auf unserem YouTube-Kanal verfolgen: https://www.youtube.com/watch?v=sJfe2hBcINk

Ort: Berlin, Palais in der KulturBrauerei, Schönhauser Allee 36

Zeit: 16:00 – ca. 20:00 Uhr (anschl. Stehempfang)

Veranstaltungshinweis: DAS AFGHANISTAN DEBAKEL – MÖGLICHE FOLGEN FÜR NATO und EU

Die sicherheitspolitische Lage in und um Europa hat sich durch Krisen in der Nachbarschaft, u. a. durch terroristische Anschläge und Instabilitäten in Afrika, im Nahen Osten, Asien und darüber hinaus, aber auch als Folge technologischer Entwicklungen (Cyber), verschärft. In den letzten Jahren stellte der damalige US-Präsident Trump die NATO in Frage, in außenpolitischen Fragen vertraten die Mitglieder häufig gegensätzliche Positionen. Während des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der NATO im Juni wurde deshalb eine Reformagenda „NATO 2030“ verabschiedet. Dazu zählen mehr politische Konsultationen im Bündnis aber auch die Erarbeitung eines neuen strategischen Konzeptes bis Mitte nächsten Jahres.

Auf der Grundlage der sicherheitspolitischen Entwicklung und einer Bedrohungsanalyse erarbeitet auch die EU zurzeit einen „Strategischen Kompass“ als neues, sicherheitspolitisches Grundlagendokument. Und mitten hinein in diese Bemühungen fällt nun das desaströse Ende der NATO-Mission in Afghanistan mit erheblichen Auswirkungen auf die nationale und europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Auf der Grundlage des Scheiterns in Afghanistan und der Beschlüsse des Gipfeltreffens wollen wir die weiteren Entwicklungen in der NATO und der EU analysieren und mit Ihnen diskutieren.

Sie sind herzlich eingeladen am 03.11.2021 an der Debatte teilzunehmen.

18:00 Begrüßung
Sohel Ahmed Landesbüro NRW der Friedrich-Ebert-Stiftung

Diskussion mit:

  • Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages a. D., Berlin
  • Dr. phil. Ronja Kempin, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin (angefragt)
  • General Egon Ramms, ehemaliger Befehlshaber Allied Joint Force Command und Operativer Befehlshaber ISAF

Moderation und Einführung Hans-Joachim Schaprian, Oberst a.D.

Ende der Veranstaltung: 20:00 Uhr

Wir bitten um Anmeldung bis zum 28.10.2021.

Anmeldung

Eine separate Anmeldebestätigung wird nicht versandt.

Hier finden Sie den Einladungsflyer zum Download.

Informationsheft Oktober 2021

Das aktuelle Informationsheft Nr.53 (Oktober 2021) ist nun auch als pdf-File zum Herunterladen verfügbar. Sie finden es hier.

Heftinhalt:

 

Sicherheitspolitik

  • 20 Jahre Afghanistan – Eine  etwas andere Perspektive
  • Zivile Verteidigung im Rahmen von Gesamt- und Bündnisverteidigung

Aus Ministerien, Ämtern und Kommandos

  • Landmobilität der Bundeswehr – Automatisierung und unbemanntes Fahren
  • Durchführung der materiellen Rückverlegung aus Afghanistan unter immer kritischen Rahmenbedingungen
  • Das deutsche Heer – Auf Kurs für das zukünftige Konfliktbild?
  • Instandhaltung von Landsystemen unter den Bedingungen von Landes- und Bündnisverteidigung

Rüstung / Technik

  • Moderne radgestützte Berge und Abschleppfähigkeiten der Heereslogistiktruppen

Aus den Schulen

  • Erste Fahnenjunkerlehrgänge Logistik erfolgreich beendet
  • Modernes Lernen – digitaler, nachhaltiger, kompetenter
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Historie

  • Desert Shield/ Storm: eine logistische Meisterleistung
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Herzlichen Glückwunsch

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Verschiedenes

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Bewaffnung der Drohne Heron TP und Einhegung Autonomer Waffensysteme

Das Aussetzen der Entscheidung zur Bewaffnung der Drohne Heron TP durch die Parteiführung der SPD hat in der letzten Zeit bei Soldaten und in der sicherheitspolitischen Community für Irritationen gesorgt. Unverständnis und Ärger gab es insbesondere deshalb, weil die Sicherheitspolitiker der SPD sich für die Drohnenbewaffnung längst ausgesprochen hatten. Emotional wurde die Diskussion allerdings durch andere Genossinnen und Genossen durch Äußerungen zum Einsatz der Drohnen wie “Töten per Joystick“ aufgeladen. Die Sicht in der Gesellschaft ist dabei in hohem Maße geprägt von der aus meiner Sicht völkerrechtswidrigen Praxis des Drohneneinsatzes der USA, zuletzt angewandt bei der Tötung des iranischen Generals Soleimani. Diese Art von Operationen, gezielte Tötungen von Personen – ob per Drohne oder auf andere Weise – halte ich seitens der Bundesrepublik Deutschland für ausgeschlossen.

Von großer Bedeutung in der öffentlichen Diskussion ist weiter der massive Drohneneinsatz im Krieg Aserbaidschan gegen Armenien, aber auch der Einsatz von türkischen Drohnen in Lybien oder auch Drohnenangriffe gegen Ölförderanlagen Saudi-Arabiens. So entschied der Einsatz von Drohnen die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Aserbaidschan und Armenien. Aserbaidschan verfügte über türkische Kampfdrohnen, die in der Lage waren, armenische Panzer aus der Luft zu orten und zu zerstörten.

Es hat auch in unserem Arbeitskreis, wie auch in Teilen der Gesellschaft, eine intensive langjährige Diskussion zu den ethischen, rechtlichen und auch sicherheitspolitischen Fragestellungen des Einsatzes bewaffneter Drohnen gegeben. Dabei stand die Verbesserung der Sicherheit für die mit einem Mandat des Bundestages in den Auslandeinsatz geschickten Soldatinnen und Soldaten im Mittelpunkt. Dieses sollte dadurch erreicht werden, in dem die vorhandene Aufklärungsdrohne zusätzlich mit Waffen ausgestattet wird. Der Pilot, der die bewaffnete Aufklärungsdrohne führt, könnte dann bei durch die Drohne aufgeklärten feindlichen Kräften, die z.B. einen Hinterhalt vorbereiten, diese verzugslos zum Schutz eigener Kräfte bekämpfen. SPD-Mitglieder des Verteidigungsausschusses haben sehr restriktive Beschränkungen beim Waffeneinsatz der Drohne Heron TP durchgesetzt: u.A. den Parlamentsvorbehalt, der den Einsatz im Ausland detailliert vorgibt; die Steuerung aus dem Einsatz heraus durch Piloten, die nicht in heimischen Basen sitzen; Rechtsberater, die vor Feuerfreigabe, vor Ort den Waffeneinsatz nach völker- und mandatsrechtlichen Kriterien bewerten. Damit wird deutlich, die Drohne HERON TP ist kein autonomes System, hier hat ein Mensch die Entscheidung über den Waffeneinsatz. Deshalb hat sich auch der Arbeitskreis Sicherheit und Bundeswehr der NRWSPD für die Bewaffnung der Drohne Heron AP ausgesprochen.

Nachdrücklich will ich unterstreichen, dass es für die Zukunft einen großen Diskussions- und Handlungsbedarf in der Gesellschaft über die Einhegung der Entwicklung autonomer Waffensysteme (AWS) geben muss. Denn durch die enormen technologischen Fortschritte in den Bereichen Robotik und künstliche Intelligenz können bald autonome Waffensysteme entwickelt werden, die ohne menschliches Zutun Ziele auswählen und selbstständig bekämpfen. Hier sind wir als Gesellschaft und als Partei gefordert. Doch die zu beschaffende Drohne HERON TP ist kein autonomes System, hier hat ein Mensch die Entscheidung über den Waffeneinsatz. Deutschland hatte in den neunziger Jahren die Entwicklung der Kampfdrohne TAIFUN geplant, die einmal abgeschossen, sich selbstständig ein gepanzertes Ziel auf dem Gefechtsfeld aussucht und zerstören sollte. Die Entwicklung dieser Kampfdrohne wurden vom damaligen Verteidigungsminister Scharping gestoppt.

Entgegen des Rates der Sicherheitspolitiker hat die Parteiführung der SPD sich für eine Verschiebung der Entscheidung der geplanten Bewaffnung der Drohne Heron auf den Herbst 2021 entschieden und eine Projektgruppe zur Frage der Bewaffnung von Drohnen eingesetzt Die Projektgruppe hat den Auftrag, die Frage einer möglichen Bewaffnung von Drohnen unter der sorgfältigen Würdigung außen-, verteidigungs-, rüstungskontroll- und friedenspolitischer sowie völker- und verfassungsrechtlicher sowie ethischer Aspekte und technologischer Entwicklungen zu erörtern.

Handlungsbedarf bei der Einhegung Autonome Waffensysteme (AWS)

Die Problematik der Autonomen Waffensysteme wurde durch den Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Bundestages von Oktober letzten Jahres erneut deutlich. Die Probleme, Befürchtungen und den Handlungsbedarf schlagwortartig vorgestellt.

Zukünftige AWS werden sich gegenüber bisherigen Waffensystemen, dadurch auszeichnen, dass sie in einem sich dynamisch verändernden, nicht vorhersehbaren Umfeld autonom agieren können, bis zu einem gewissen Grad also selber Handlungsentscheidungen treffen müssen, ohne dabei einer direkten menschlichen Steuerung bzw. Kontrolle zu unterliegen.
Die zunehmende Nutzung von automatisierten oder zukünftig autonomen Waffensystemen könnte einen Paradigmenwechsel darstellen, der die Kriegsführung im 21. Jahrhundert revolutionieren würde.

Die Raketen abfeuernde, am Himmel unsichtbare Minidrohne ist eine neue Waffe, die zu einer großen Herausforderung auch für die westlichen Streitkräfte wird. Befürchtet wird, dass es durch diese neuen Technologien, insbesondere kleiner Drohnen, die um ein vielfaches billiger sind als Flugzeuge aber auch gepanzerter Systeme, zu einem neuen Wettrüsten kommt.
AWS werfen zahlreiche Fragen auf, sowohl was ihre Übereinstimmung mit den Prinzipien des humanitären Völkerrechts angeht als auch die Auswirkungen, die ihre Verbreitung und ihr Einsatz entfalten könnten, gerade auch in Bezug auf potenzielle Rüstungsdynamiken, die internationale Sicherheit sowie regionale und strategische Stabilität.

Denn mit autonomen Waffensystemen sind auch wichtige ethische, verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Fragen verbunden, auf die die Gesellschaft eine Antwort finden muss.
Die Frage ist, ob es ethisch vertretbar, politisch verantwortbar und (völker)rechtlich erlaubt sein kann, die Entscheidung über Leben und Tod von Menschen an Maschinen zu delegieren.
Eine der Kernfragen ist, welches Mindestmaß an menschlicher Kontrolle über ein Waffensystem gegeben sein muss, damit die völkerrechtlichen Anforderungen eingehalten werden können und die ethische und juristische Verantwortung jederzeit geklärt ist.

Der Einsatz von AWS birgt die Gefahr eines menschlichen Kontrollverlustes über Entscheidungen von Leben oder Tod. Deshalb ist die Beibehaltung der menschlichen Kontrolle bei der Zielauswahl und – Bekämpfung unverzichtbar. Die wirkliche kritische Frage ist hier allerdings, ab wann der Mensch die weitere Umsetzung seiner Anweisungen einem automatisierten System überlässt: Mit der Programmierung eines Algorithmus zur selbstständigen, oder gar selbstlernenden Auffassung und Bekämpfung von Zielen, mit der Festlegung von Kriterien zur Identifikation Verdächtiger Kontakte durch elektronische Sensoren, oder mit der Betätigung einer Feuerfreigabe auf ein identifiziertes Ziel?

Erforderlich ist es, die möglicherweise problematischen Konsequenzen technologischer Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, für die in politischer Verantwortung stehenden Entscheidungsträger beurteilbar zu machen und durch Institutionen und Verfahren auf nationaler und internationaler Ebene in ihren Risiken zu begrenzen.

Ob ihr Einsatz völkerrechtlich zulässig sein könnte, muss bereits im Vorfeld, und zwar bei Prüfung, Entwicklung, Beschaffung oder Einführung geprüft und festgestellt werden.
Im Lichte der Implikationen, mit denen die internationale Gemeinschaft durch autonome Waffensysteme zukünftig konfrontiert werden könnte, erscheint es dringend geboten, diese Herausforderungen unverzüglich anzugehen und Lösungen zu entwickeln. Die Frage ist, wie kann ein Wettrüsten mit AWS durch internationale Verbote verhindert werden? Und mit welchen Sanktionsmitteln kann von wem gegen zu erwartende Verstöße vorgegangen werden?

Frühzeitiges Engagement bietet die Möglichkeit, mit einem international abgestimmten, zielgerichteten Vorgehen die möglichen Gefahren einzuhegen, die AWS mit sich bringen könnten. Um das Ziel einer Ächtung von Waffensystemen zu erreichen, die dem Menschen die Entscheidungsgewalt über Leben und Tod entziehen, ist Engagement im internationalen Rahmen erforderlich.
Dabei stellt sich nüchtern die Frage, welche Handlungsmöglichkeiten Deutschland auf internationaler Ebene besitzt, um die angestrebte Ächtung tödlicher autonomer Waffen voranzubringen
Präventive Rüstungskontrolle dient der Identifikation und Ausarbeitung von rüstungskontrollpolitischen Regulierungsansätzen für zukünftige, bisher nichtstationierte Waffensysteme, mit dem konkreten Ziel, der destabilisierenden Wirkung von potenziellen Rüstungswettläufen und den Gefahren militärischer Eskalationsmechanismen bereits im Vorfeld zu begegnen. Wegen der Risiken, die AWS aufwerfen, muss ein durchsetzungsfähiges Verbot autonomer Waffensysteme entwickelt werden und auf breite Unterstützerschaft zählen können. Vor allem braucht es dabei die Rückendeckung der großen machtpolitischen Akteure auf der Weltbühne.

Deutschland und Frankreich sollten in der EU eine Vorreiterrolle einnehmen und als ersten Schritt eine politische Erklärung mit dem Bekenntnis zum HVR-konformen Einsatz von AWS verbinden. Allerdings könnte eine noch so geschlossene Position selbst der gesamten EU nicht verhindern, dass Russland, China und auch die USA ihren ganz eigenen Vorstellungen zu Drohneneinsätzen folgen. Ohne Schulterschluss mit Amerika wird Europa hier wenig erreichen können.

Abschließend ist festzustellen, über die Gefahren und Auswirkungen der Entwicklung autonomer Waffensysteme ist eine breite Diskussion in der Gesellschaft notwendig.

Autor: Joachim Schaprian

Quelle: Der Artikel ist erschienen im Newsletter 02/2021 des Arbeitskreises Sicherheit und Bundeswehr (AK SuB) der SPD NRW.

 

Einige Gedankenimpulse zur Lage der Bundeswehr

Der ehemalige Generalinspekteur Klaus Naumann muss neulich in einem Zeitschriftenbeitrag für die Rotarier die Meinung geäußert haben, dass die Politik die Bundeswehr eigentlich nur als Eintrittskarte für die Teilhabe an der internationalen Politik betrachtet, und einen ernsthaften Einsatz in der Landes- oder Bündnisverteidigung gar nicht im Blick hat. Die Einsatzbereitschaft ist nicht wirklich ein Anliegen der Politik in Berlin.
Es wird zwar viel von einer Neubewertung der Bündnis- und Landesverteidigung gesprochen und mit dem plötzlich sehr schnellen Ende des Afghanistaneinsatzes wird auch die Dominanz der Kriseneinsätze nach zwei Jahrzehnten wohl zu Ende gehen. Sparpolitik und euphorische Fixierung auf Kriseneinsätze haben die Bundeswehr erheblich umgekrempelt und ihre Einsatzfähigkeit in der Landes- und Bündnisfähigkeit ruiniert. Da gibt es jetzt viel aufzuholen, aber mit den in der Trendwende wieder etwas besser gefüllten Kassen wird es nach Corona vorbei sein.
Die Berliner Politik scheint trotz aller Lippenbekenntnisse noch nicht wirklich begriffen zu haben, dass Deutschland eine zentrale Rolle bei der konventionellen Bündnisverteidigung in Europa zu spielen hat. Großbritannien hat sich in maßloser Selbstüberschätzung seiner Vision eines „Global Britain“ mit weltweiter Präsenz und Hochtechnologie zu Wasser, zu Lande, in der Luft, im Weltraum und im Cyberspace verschrieben, reduziert aber seine Kampf-panzer auf 150 Fahrzeuge. Frankreich verfolgt weiterhin ähnliche Ziele, hat aber jetzt in der jüngsten strategischen Standortbestimmung erkannt, dass es seinen Schwerpunkt stärker auf die Verteidigung Europas verlegen muss.
Das deutsche Fähigkeitsprofil der Bundeswehrplaner sieht eigentlich für 2031 wieder drei voll einsatzbereite Heeresdivisionen für das Bündnis vor, man dürfte aber nicht in der Lage sein, das dafür notwendige zweite Los von weiteren 266 Schützenpanzern PUMA in der neuesten, nun einsatzreifen Konfiguration zu finanzieren. Sowohl das für 2023 angestrebte Zwischenziel einer voll einsatzbereiten Brigade für die NATO-Speerspitze als auch eine erste im Jahre 2027 wieder voll ausgestattete Heeresdivision werden hinter den Erwartungen zurückbleiben. Inspekteur Schelleis bekannte neulich, dass seine Streitkräftebasis gegenwärtig nur zwei Divisionen in einem Einsatz unterstützen könnte. Das Logistikkommando denkt an die Aufstellung von zwei weiteren Logistikbataillon und einem zweiten logistischen Regimentsstab. Die Vorsorge für einen Massenanfall von Verwundeten in einem größeren Konflikt an der Bündnisperipherie erfordert auch eine Aufwuchs im Sanitätsdienst. Die Aufstellung des Sanitätsregiments 4 in Bentlage steht in diesem Kontext.
Als großes Defizit hat man angesichts der sich abzeichnenden Bedrohung durch Kampfdrohnen wieder die Nahbereichsluftverteidigung erkannt, nachdem man zehn Jahre zuvor noch die Heeresflugabwehrtruppe komplett aufgelöst hatte. Der Schwerpunkt der Mittel für die Luftverteidigung wird jetzt in diese Richtung verschoben und das am Ende fast fertig entwickelte, nur noch rein nationale Taktische Luftverteidigungssystem rückt in weite Ferne. Die in den 80er Jahren beschafften, immer wieder zu modernisierenden PATRIOT- Luftabwehrsysteme werden mindestens bis 2030 die bodengestützte Luftverteidigung gegen Flugzeuge und ballistische Kurzstreckenraketen wahrnehmen müssen.
Andererseits geht man mit Frankreich eine höchst kostenintensive Rüstungskooperation bei dem künftigen Kampfflugzeug FCAS ein, das in einen komplexen operativen Gefechtsverbund mit Drohnen, Satelliten und Bodenaufklärung eingebunden sein soll. Man sollte einmal kritisch hinterfragen, ob eine Zahl von am Ende dann vielleicht 100-150 Hochtechnologiesystemen mit einem Kostenrahmen von 100 Milliarden € oder mehr wirklich einen angemessenen Mehrwert an Feuerkraft und Agilität bringen, während man nicht in der Lage ist, die Hausaufgaben bei der Luftverteidigung und kampfkräftigen Heeresdivision zu erledigen.
Für die ab 2029 vorgesehenen 21 vorerst unbewaffneten Eurodrohnen der Bundeswehr hat der Haushaltsausschuss jetzt 4 Milliarden genehmigt. Für den gleichen Preis könnte man ein ganzes Luftwaffengeschwader mit Eurofightern oder F 35 Lightning II ausrüsten. Der Gefechtswert dieser vielseitigen Überschalljets der 4. Bzw. 5. Generation dürfte den der 21 mit 500 km/h fliegenden Eurodrohnen übersteigen. Hauptsache, die Eurodrohnen für Deutschland und seine Partner werden im bayerischen Manching montiert.
Man gewinnt den Eindruck, dass Europa- und Industriepolitik den Vorrang vor militärstrategischen und militärtaktischen Überlegungen haben. Marine-projekte haben es wegen der Industrie- und regionalen Strukturpolitik deutlich leichter, in die Tat umgesetzt zu werden, auch wenn die maritime Industrie an der Küste etwas brüskiert war, als eine niederländische Werft den Zuschlag für die Entwicklung von vier Fregatten 126 bekam. Die Fregatten 125 der „Württemberg-Klasse“ sind immer noch nicht voll einsatzbereit und den Einsatzwert dieser vier neuen Einheiten, die noch primär für Krisenintervention konzipiert waren, bei der Sicherung der Seewege im Atlantik darf man getrost bezweifeln.
Bei aller Euphorie für die Technik und Fixierung auf Szenarien im Cyberspace, Weltraum und einen Einsatz künstlicher Intelligenz hat die Bundeswehrführung immerhin die Ressource Mensch nicht ganz aus den Augen verloren. Eigentlich strebt man im nächsten Jahrzehnt eine Aktivstärke von 200.000 Soldaten an, aber im Augenblick dümpelt die Einsatzstärke weiterhin um die 184.000 Soldatinnen und Soldaten. Man hat erkannt, dass man in der Bündnis- und Landesverteidigung ohne einen nennenswerten Aufwuchs durch Reservisten nicht auskommt. Erst recht wurde deren Bedeutung in der Pandemie bestätigt. Es war nicht länger hinzunehmen, dass die bisher schon vorhandenen um die 62.000 Reservedienstposten nur zu 50 % mit Beorderungen unterlegt waren.
Man hat jetzt einen Ausweg dafür gefunden, dass Reservedienstleistungen (Wehrübungen) auch künftig nur freiwillig und mit Zustimmung der Arbeitgeber geleistet werden können. Durch die ab Oktober 2021 wirksame Grundbeorderung wird automatisch jeder ausscheidende Soldat für den Zeitraum von sechs Jahren für einen Reservedienstposten eingeplant. Man geht davon aus, dass die Soldaten schon während ihrer Dienstzeit auf eine Funktion in der Reserve vorbereitet werden und so dauerhaft einen Aufwuchs um ca. 90.000 nicht aktive Soldaten sicherstellen kann. Natürlich wird intensiv auch in dieser Zeit um das Engagement in freiwilligen Reservedienstleistungen geworden. Bisher waren Reservisten vorwiegend zur Verstärkung in aktiven Einheiten eingeplant oder bildeten in Ergänzungstruppenteilen nur einen Personalpool. Nur die Territoriale Reserve mit den KVK/BVK und RSU-Kompanien bildeten eigene Formationen. Künftig soll es wieder voll ausgerüstete Reservetruppenteile mit eigener Ausrüstung und Infrastruktur geben. Nur so wäre man in der Lage, die geplanten drei Divisionen einsatzbereit zu machen.
Ein großer Hype entstand um eine neue Variante des Aufwuchses durch das Freiwillige Dienstjahr im Heimatschutz. Im April begann in der Streitkräftebasis die erste Ausbildung dieser Freiwilligen in einer siebenmonatigen Grund- und Spezialausbildung und anschließender Verpflichtung zum Reservedienst für die Gesamtdauer von fünf Monaten. So will man vor allem die 30 künftig in Heimatschutzkompanien umbenannte RSU- Kompanien für Wach-, Sicherungs-und Katastrophenschutzaufgaben mit Beorderten füllen. Als organisatorisches Dach sollen bis 2025 fünf Landesregimenter als Stäbe aufgestellt werden. Trotz mancher Euphorie in unseren Reihen darf man getrost hinterfragen, ob die künftig auf 36 aufgestockten Heimatschutzkompanien in der Lage sein würden, einen angemessenen Schutz von ca. 3000 Objekten ziviler und militärischer kritischer Infrastruktur in einem hybriden Kriegsszenario sicherzustellen.
Für Verteidigungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit (Resilienz) in einem Krisen- und Kriegsfall reicht nicht nur die Vorsorge mit Gerät, Strukturen und Personal. Von entscheidender Bedeutung ist die staatsbürgerliche Gesinnung und der Wille zur Selbstbehauptung in der Bevölkerung. Hier dürften die Anzeichen einer Entfremdung zwischen der Truppe und der Gesellschaft bzw. Politik Sorge bereiten. Die Wahrnehmung der Bundeswehr in den Medien beschränkt sich weiterhin primär auf Skandale. Die fehlende Einsatzbereitschaft für die Verteidigung interessiert kaum jemanden.
Sönke Neitzel hat in seinem jüngsten Buch“ Deutschlands Krieger“ die Entfremdung eines Teiles der Bundeswehr, vor allem in den Kampftruppen, von der zivilen Gesellschaft thematisiert. Es gelte, die Existenz von militärischen Sonderkulturen, die sich nun einmal von der zivilen Welt unterscheiden, erst einmal als gegeben zu betrachten und die Soldaten nicht mit unrealistischen Normen und Werten der Zivilgesellschaft zu überfordern. Neitzel betont immer wieder, dass man die Bundeswehr besser abschaffen solle, wenn man ihren effizienten Einsatz für die Verteidigung nicht wirklich beabsichtigt.
Nun sorgt in den letzten Tagen noch ein neues heißes Eisen, das Verteidigungsministerin und Generalinspekteur angepackt haben, für neue Aufregung. Erneut soll die Führungsstruktur geändert werden. Es gab schon immer ein gewisses Unverständnis für die Tatsache, dass neben den klassischen drei Teilstreitkräften einer Streitmacht von fast 500.000 Aktiven in den Jahrzehnten des Truppenabbaus drei weitere eigenständige Organisationsbereiche aus dem Boden geschossen waren. Als Hauptgrund wurde die Bündelung von Fähigkeiten für die Bildung von maßgeschneiderten Einsatzmodulen genannt. So waren zahlreiche Querschnittsaufgaben der Logistik, Führungsunterstützung, Spezialaufgaben und zahlreiche territoriale Aufgaben in der Streitkräftebasis zusammengefasst worden. Die fachfachspezifischen Belange des Sanitätsdienstes rechtfertigten auch einen eigenen Organisationsbereich und im Zuge der starken Gewichtung der Informationstechnologie und Cyberkriegführung bildete man hier einen eigenen sechsten Bereich, für den man große Teile aus der Streitkräftebasis herausschnitt.

Mit dem in der Bündnisverteidigung sehr viel wahrscheinlicheren geschlossenen Einsatz von großen Formationen der Teilstreitkräfte beanspruchen diese wieder die unmittelbare Unterstellung von Kräften der Logistik und Einsatzunterstützung, wie das in früheren Strukturen der Fall war. Mit der Pandemie wurde auch ein Verbesserungsbedarf bei der militärischen Führung von territorialen Aufgaben im eigenen Land offensichtlich. Schon vor längerer Zeit kündigte der Generalinspekteur ein Führungskommando für die Landstreitkräfte an, das in Münster beheimatet werden soll. Seit einigen Tagen kursieren nun Gerüchte, dass die Logistik der Streitkräftebasis und der zentrale Sanitätsdienst wieder in die alten Teilstreitkräfte zurückgeführt werden sollen. Außerdem sei ein eigenes Kommando für einen nationalen territorialen Befehlshaber vorgesehen, eine Aufgabe, die bisher der Inspekteur der Streitkräftebasis wahrgenommen hat. Inwieweit sich diese Gerüchte bewahrheiten, die schon viel Unruhe in die Truppe gebracht haben, bleibt offen. Zu befürchten ist, dass damit im Zuge der enormen Schuldenlast durch die Pandemiekrise weitere Reduktionen einher gehen könnten.

Quelle:

Text: Jürgen Dreifke, Beauftragter sicherheitspolitische Arbeit VdRBw – Kreisgruppe Münster

Nato 2030 – Geeint in ein neues Zeitalter

Auf Initiative von Außenminister Maas hat die NATO im Dezember 2019 einen Reflexionsprozess zur Stärkung der politischen Dimension der NATO in Auftrag gegeben. Zu dessen Unterstützung ernannte NATO-Generalsekretär Stoltenberg im März 2020 ein zehnköpfiges Experten- und Beratergremium unter Vorsitz von Bundesminister a. D. Dr. Thomas de Maizière und dem ehemaligen US-Diplomaten A. Wess Mitchell. Den Abschlussbericht des Expertengremiums unter der Überschrift NATO 2030 – United For a New Era” haben die  beiden Co-Vorsitzenden nun zum Treffen der NATO-Außenminister am 1./2. Dezember 2020 übermittelt.

Nun gibt es dieses Dokument auch als Arbeitsübersetzung in deutscher Fassung.

Zum Download …

In den kommenden Monaten werden die NATO-Alliierten nun weitere Vorschläge zur Weiterentwicklung des Bündnisses für das Frühjahrstreffen der NATO-Außenminister erarbeiten, bevor der Reflexionsprozess dann beim NATO-Gipfel 2021 seinen Abschluss findet.

 

Quelle: https://www.auswaertiges-amt.de