Der Nahe Osten am Scheideweg

Es klingt wie ein Märchen aus Tausend-und-eine-Nacht: Nach einem der gefährlichsten Kriege der jüngeren Geschichte des Nahen Osten nun buchstäblich über Nacht die Ankündigung einer Waffenruhe! Was als „Drecksarbeit“ (so Bundeskanzler Merz) für die westliche Welt durch Israel und die USA begann, soll nun ganz plötzlich die Chance für einen Frieden bringen. Und das nur Stunden, nachdem Iran noch eine Raketensalve auf die US-Luftwaffenbasis in Katar abgefeuert hatte – allerdings mit Ankündigung, so dass die Geschosse abgefangen werden konnten. Das reichte offensichtlich den Machthabern in Teheran als Gesichtswahrung, und US-Präsident Donald Trump konnte den bisher größten Erfolg seiner Amtszeit verkünden.

„Der 12-Tage-Krieg hätte Jahre dauern können und den ganzen Nahen Osten zerstören können, aber es passierte nicht, und das wird es niemals.“ Und er lobte beide Seiten für das „Durchhalten, den Mut und die Intelligenz“ und wünschte Wohlergehen für Israel, Iran, den Nahen Osten, die USA und die Welt.

Und auch die Netanjahu-Regierung äußerte sich positiv. Man habe alle Kriegsziele erreicht. Die Machthaber in Teheran ließen ebenfalls ihre Zustimmung verkünden. Dass dann über die vereinbarte Frist hinaus noch einmal iranische Raketen in Israel einschlugen und man in Jerusalem ebenfalls weitere Angriffe ankündigte, führte zu der Mahnung Trumps, „Der Waffenstillstand ist nun in Kraft – Bitte verletzt ihn nicht!“

Nun gilt es, Taten folgen zu lassen und den Waffenstillstand konsequent umzusetzen. Noch ist es zwar zu früh, eine vollständige Bilanz zu ziehen. Aber man kann dennoch feststellen, dass die Welt an einem hoch gefährlichen Flächenbrand vorbeigeschrammt ist, der sowohl militärisch wie auch wirtschaftlich verheerende Folgen hätte haben können.

Ist damit alles gut?

Eine nüchterne Betrachtung zeigt, dass auch Israel keineswegs alle Kriegsziele erreicht hat. In Hintergrundgesprächen wurde dort noch am Montag darauf verwiesen, man habe bislang 50 Prozent der Raketen-Startrampen vernichtet. Die ganze Nacht feuerte der Iran denn auch noch weiter. Auch die Frage, wo das hoch angereicherte Uran tatsächlich abgeblieben ist, ist noch nicht beantwortet. Konnte es noch rechtzeitig vor dem US-Angriff abtransportiert werden?

Einig sind sich die Experten, dass aber die Produktionsanlagen für die Herstellung von Sprengköpfen zerstört worden sind. Damit dürfte Irans Fähigkeit, Atommacht zu werden, tatsächlich um Jahre zurückgeworfen worden sein.

Grundsätzlich jedoch, und das ist der eigentliche Erfolg, könnte dieser Waffenstillstand die Tür öffnen für das, was sowohl die USA wie auch die Europäer unbedingt wollen: der Diplomatie eine Chance zu geben.

Die Angriffe Israels und dann der USA trafen den Iran zu einer Zeit seiner wohl größten Schwäche. Wirtschaftlich stark angeschlagen und als Machtfaktor in der Region fast aller seiner Verbündeten beraubt, blieben nur noch das Atomprogramm und das Raketenarsenal. Nachdem dies nun weitgehend zerstört und dazu die operativen Führungseliten zu Hunderten ausgeschaltet wurden, sahen die Ayatollahs offenbar keinen Ausweg mehr, den Krieg fortzuführen. Auch aus Russland kam außer warmen Worten offenbar wenig handfeste Unterstützung.

Nun allerdings kommt die tatsächliche Herausforderung: aus einem fragilen Waffenstillstand einen Weg zum Frieden zu finden. Und hier steht das entscheidende Fragezeichen im Raum: Ist Teheran wirklich bereit, auf sein militärisches Atomprogramm endgültig zu verzichten?

Es war bisher das Symbol für den Anspruch, sowohl in der Region wie in der eigenen Bevölkerung ernst genommen zu werden. Das ist die ganz praktische Frage. Darüber hinaus gehört es aber auch zur Staatsdoktrin der religiösen Fanatiker in Teheran, dem großen Satan USA und dem kleinen Satan Israel die Stirn zu bieten und den Zionistenstaat von der Landkarte zu tilgen. Ohne die Bombe ist dieser Traum ausgeträumt. Es ist kaum vorstellbar, dass eine Abkehr davon mit dem gegenwärtigen Regime möglich ist.

Weder Israel noch die USA wollten offiziell einen „Regime Change“ zum Kriegsziel machen. Sie hoffen darauf, dass dies aus der iranischen Bevölkerung heraus geschehen würde. Experten auch in Israel verweisen allerdings auf den großen Repressionsapparat, über den die Mullahs verfügen.

Dennoch: Nicht nur der Iran, der ganze Nahe Osten steht jetzt an einem Scheideweg. Gelingt eine Annäherung, könnte es tatsächlich zu einer ganz grundsätzlichen Änderung der Situation in der Region kommen. Dafür müssen erst einmal die Waffen schweigen – jetzt!

Erstveröffentlichung in Europäische Sicherheit & Technik, 24. Juni 2025, www.esut.de

Titel: Der Nahe Osten am Scheideweg

Autor: Werner Sonne

Bild: Werner Sonne