Rede der Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen, zum Jahresbericht 2017 des Wehrbeauftragten vor dem Deutschen Bundestag.

Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte mich dem Dank, lieber Herr Bartels, anschließen, vor allen Dingen dem Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ihrem Amt. Wir wollen über zwei Berichte zugleich diskutieren. Ich finde, die Zeit reicht nicht, um sie ausführlich und angemessen zu würdigen. Deshalb möchte ich mich auf einige wenige Punkte konzentrieren.

Lieber Herr Bartels, Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt: „Seit 2014 gibt es […] beide Aufgaben parallel.“ Gemeint sind die Landes- und Bündnisverteidigung und das Krisenmanagement. „Und das mit der kleinsten Bundeswehr aller Zeiten.“

Das stimmt. Nie war das Aufgabenspektrum der Bundeswehr breiter und heterogener, und nie war die Bundeswehr so klein.

Aber wir sollten auch nicht vergessen, woher wir gekommen sind. Seit der Wiedervereinigung hat die Bundeswehr 25 Jahre lang Schrumpfung, Kürzung, Reduzierung und Reformen erlebt. Sie alle haben es miterlebt: Personal wurde abgebaut, Material wurde aussortiert, Ersatzteillager wurden abgeschafft. Das heißt, man hat Gerät, das zu viel da war, kannibalisiert, also Ersatzteile entnommen, um sie in anderes Gerät, damit dieses noch funktioniert, einzubauen. Aber die Modernisierung ist damit natürlich vertagt worden, denn irgendwann hat man keine Geräte mehr, um diese zu kannibalisieren.

Das war nach dem Ende des Kalten Krieges nachvollziehbar und sicherheitspolitisch absolut notwendig. Die Zusammenführung von zwei großen und unterschiedlichen Armeen brauchte das. Aber wir alle wissen, dass spätestens seit der Finanzkrise 2008 aus den Kürzungen bei der Bundeswehr ein Leben von der Substanz folgte. Der Tiefpunkt war in der Tat, dass es hohle Strukturen und eine Verwaltung des Mangels gab und dass an allen Ecken und Enden Personal fehlte.

Dann kam es zu der dramatischen Veränderung der Sicherheitslage, die wir ab 2014 erlebt haben: zur Annexion der Krim, zum Beginn des hybriden Krieges in der Ostukraine, zum veränderten Verhalten Russlands. Ein Vierteljahr später folgten der Aufmarsch des IS über Mosul bis zehn Kilometer vor Bagdad, das Abschlachten der Jesiden bis hin zur Destabilisierung Afrikas durch Migrationsbewegungen, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen haben.

Wir haben gemeinsam umgesteuert und Trendwenden bei Personal, Material und Finanzen eingeleitet. Die Bundeswehr wächst wieder. Aber das Wachsen ist nicht einfach ein Umdrehen des Trends. Vielmehr macht es etwas mit einer Organisation, dass man neu, ins Offene und in die Modernisierung hinein planen und sich neu aufstellen muss. Wir stellen mehr Berufssoldatinnen und -soldaten und mehr Soldaten auf Zeit ein. Die Bewerberlage ist übrigens trotz aller Unkenrufe gut.

Wir haben die starren Obergrenzen, die sich seit 2011 nicht verändert hatten, abgeschafft. Da geht mein Dank für das Vertrauen, das Sie uns gegeben haben, an das Parlament. Jetzt müssen wir nicht mehr die Wirklichkeit an die Obergrenzen anpassen. Wir legen dem Parlament die Planungsprozesse jedes Jahr transparent vor, sodass wir mit Blick nach vorne darlegen können, was wir, um die Auftragserfüllung der Bundeswehr zu gewährleisten, tatsächlich brauchen. Wir haben Transparenz geschaffen, etwa durch Rüstungsberichte, wie es sie nie zuvor gegeben hat. Wir sind schneller und besser geworden.

Wir haben es geschafft, das Volumen der Beschaffungsaufträge zu verfünffachen. Herr Wehrbeauftragter, ich nenne die Zahlen für die letzte Legislaturperiode: Uns sind 51 Boxer, 1.800 Geländewagen und Lkw, 181 Puma, 28 NH90, 16 A400M, 15 Hubschrauber für die Spezialkräfte und 31 Tiger zugegangen. Das reicht noch nicht, aber das ist der Weg in die richtige Richtung. Wir dürfen jetzt aber nicht nachlassen. Die Trendwenden müssen verstetigt werden.

Wir haben im letzten Dezember in der Tat auch die Europäische Verteidigungsunion aus der Taufe gehoben.

Herr Wehrbeauftragter, ich bin beim Thema Ausbildung bei Ihnen. Deshalb haben wir die Agenda Ausbildung ganz oben auf die Prioritätenlisten für diese Legislaturperiode gesetzt, und wir werden sie gemeinsam auch breit diskutieren.

Ja, das Bestandspersonal, wie Sie es nannten, Herr Wehrbeauftragter, muss sich gerade auch in der Gesetzgebung wiederfinden. Deshalb planen wir ein Artikelgesetz, das genau darauf zielt. Ich will nur einige Punkte nennen: Der von Ihnen eben beschriebene notwendige Zugang der Familien von an posttraumatischen Belastungsstörung Erkrankten zu therapeutischen Angeboten steht in diesem Artikelgesetz.

Die Gehaltsstruktur wird überprüft und muss verbessert werden. Die soziale Absicherung unserer Soldatinnen und Soldaten nach der aktiven Zeit – insbesondere, wenn es um die Krankenversicherung der Rentner geht – muss ermöglicht werden. All das sind Bausteine, die wir dann in der Breite auch gemeinsam diskutieren werden. Herr Wehrbeauftragter, Sie laufen bei uns also gewissermaßen offene Türen ein.

Wir sind in der vergangenen Legislaturperiode verbindliche europäische Verpflichtungen eingegangen, die wir umsetzen wollen. Ich nenne die Kooperation mit Frankreich beim Transportflugzeug C-130J und die Entwicklung der nächsten europäischen Generation eines gemeinsamen Kampfpanzers sowie eines gemeinsamen Luftkampfsystems. Das haben wir im letzten Jahr in der Feuille de route festgelegt. Niederländische Einheiten von Heer und Marine sollen tief in unsere militärischen Strukturen integriert werden, und wir planen, den Digitalfunk – die sogenannte Mobile Taktische Kommunikation – gemeinsam auf den Weg zu bringen. Mit Norwegen haben wir eine U-Boot-Kooperation; mit Frankreich, Spanien und Italien entwickeln wir die Eurodrohne.

Jetzt müssen diese Vereinbarungen mit Leben gefüllt werden, denn darauf verlassen sich unsere Verbündeten und unsere Soldatinnen und Soldaten. Das ist kein Sprint. Jetzt zeigt sich, ob wir diesen Dauerlauf schaffen, den langen Atem haben und tatsächlich das umsetzen, was wir in der letzten Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben.

Unsere Soldatinnen und Soldaten warten auch auf neue Nachtsichtgeräte, erstklassige Schutzkleidung, moderne persönliche Ausrüstung und moderne mobile Kommunikationsmittel. Sie erwarten als Parlamentsarmee dafür auch eine nachhaltige und verlässliche Finanzierung.

Man kann den Rückbau der letzten mehr als 20 Jahre nicht in drei Jahren aufholen oder ungeschehen machen. Deshalb sind uns die Beschlüsse im Koalitionsvertrag so wichtig: die überjährige Finanzierung, die Verbesserung im Vergaberecht, die deutsche Umsetzung des europäischen Vergaberechts.

Ja, wir brauchen neue Beschaffungsregeln, wie Sie, Herr Wehrbeauftragter, das nannten, und wir müssen gemeinsam mit allen Beteiligten die Organisation des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr betrachten. Vor allem ist für uns wichtig, dass im Koalitionsvertrag kein Absinken der Nato-Quote und auch kein Absinken der ODA-Quote, sondern eine Erhöhung dieser beiden Quoten eins zu eins festgehalten ist. Diese nachhaltige Finanzierung ist unverzichtbar für die Ressorts des äußeren Handelns, und unsere Soldatinnen und Soldaten verlassen sich darauf.

Nicht nur unsere Soldatinnen und Soldaten verlassen sich darauf. Auch unsere Verbündeten verlassen sich in diesem Punkt auf uns. Wir wissen, dass wir verlässlich sind. Diese Verantwortung wollen wir auf unsere Schultern nehmen, und wir wollen ihr auch gerecht werden.

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Autor: Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen